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Zur Diskussion um die Bundesjugendspiele: Wie wär’s mit einer „Talentiade“?

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Gestern war’s, da kam die Tochter (8) von ihrem Schultag nach Hause. Stolz wie Bolle. „Ich war die Schnellste bei den 800 Metern! Aber ich hab‘ nicht so weit geworfen.“ Und: „Alle anderen Mädchen haben geweint.“ Hart gesottene Eltern kennen die Diagnose: Es müssen Bundesjugendspiele gewesen sein. Immer heult jemand. Immer ist jemand sauer. Und ja, manchmal gibt es auch Erfolgserlebnisse.

Bundesjugendspiele

Wie so ziemlich in jedem Jahr, seit wir schulpflichtige Kinder haben (also seit neun Jahren) haben wir unsere alten Anekdoten aufgewärmt: Die Frau hat die Bundesjugendspiele „eh schon immer gehasst“, bei mir war das Verhältnis ambivalent. Ich habe Eishockey gespielt, seit ich vier war, quasi immer in der Landesauswahl, quasi immer in der höchsten Nachwuchsspielklasse bis zu Bundesliganiveau. Und doch hat es bei den Bundesjugendspielen zuweilen nur zur Siegerurkunde gereicht. Entweder, weil ich im Winter beim Sprung über den längs gestellten Kasten blöd versagt habe oder beim Sprint die entscheidenden Zehntel zu langsam war. Ich gehörte jedenfalls zu denen, die sich geärgert haben. Wie sich die ganz ohne Urkunde gefühlt haben, will ich gar nicht wissen.

Erst gestern Abend streifte dann beim Blick in den Nachrichtenticker die inzwischen immer mehr an Fahrt aufnehmende Petition zur Abschaffung der Bundesjugendspiele an mir vorbei. Eine dankbare Diskussion fürs Netz, weil ja doch jeder, der in der Bundesrepublik zur Schule gegangen ist, sein Geschichtchen dazu erzählen kann. Siehe oben.

Was man sicherlich festhalten muss: Die Bundesjugendspiele sind ein Wettbewerb, der Schüler mit einem ganz bestimmten Talent und einer ganz bestimmten Leidenschaft fördert und motiviert. Das sind in der Zuspitzung der Wettbewerbe nicht sehr viele Schüler. Die Mehrzahl bleibt verhalten begeistert zurück. Warum noch im Jahr 2015 eine solche Veranstaltung mit Benefit für wenige und Verdruss für viele mit hohem Aufwand für alle und Unterschrift des Bundespräsidenten betrieben werden muss, erschließt sich mir tatsächlich nicht.

„Aber die Bundesjugendspiele gibt es seit 1951! Tradition!!!“, schallt es mir entgegen. Oh. Eben. Gerade wenn eine Institution seit 64 Jahren besteht und sich irgendwie mit Kindern und Jugendlichen beschäftigt, gehört sie grundlegend überprüft. Nicht modifiziert, nicht weiterentwickelt, sondern einmal am Haarzopf durch die Schule geschleift und durchgeschüttelt. Wenn danach noch etwas übrig bleibt – gut.

Wir wissen heute, dass viele Talente in Kindern schlummern, die im Regelschulbetrieb nicht entdeckt werden oder zu kurz kommen. Kinder brillieren durch handwerkliche Fähigkeiten, Kreativität, analytisches Denken und ja, häufig auch durch eine Begabung für Sport. Nicht unbedingt für Leichtathletik, nicht unbedingt für Schwimmen, nicht unbedingt für Turnen. Aber vielleicht für Tischtennis, Faustball, Bowling, Skateboard, Radfahren. Die Zuspitzung auf die klassischen Sparten der Leibesübungen in einer heterogenen Welt ist ganz sicher nicht mehr zeitgemäß. Das muss weg.

Und dieses Argument: „Die Jugendlichen sollen mal ihr Smartphone weglegen und sich körperlich betätigen…“ Ja sicher, das beginnt man am <ironie> allerallerbesten mit einem sportlichen Wettkampf, in dem jede(r) Nichtsportler(in) gleich mal bundespräsidial aufs Brot geschmiert bekommt, wie unglaublich ungelenk er/sie eigentlich ist </ironie>. Geht gar nicht. Lasst Euch was anderes einfallen, wie Ihr die Kinder wieder für mehr Bewegung und Sport begeistert. Gamification, was weiß ich. Aber hört auf, flächendeckend Urkunden für Sprints und Felgumschwünge auszustellen.

Ich denke an eine Art „Talentiade“, nicht primär wettbewerbsgeprägt. Eher ein Forum, in dem jedes Kind seine Fähigkeiten ausspielen und entdecken kann. Ein Ding, in dem die Kinder sich untereinander begeistern, in dem sie sich ausprobieren können und in dem sie ihren Weg erspüren können, auch wenn sie noch keinen vor Augen haben. Ein abwechslungsreiches Projekt, in dem sich möglichst viele Schüler wiederfinden. Das geht nicht in drei Stunden auf einem Sportplatz am Vormittag, das ist eine längerfristige Geschichte. Und die kostet Geld, ist aufwändig und muss vor allem durchdacht sein.

Ach so – Urkunden drucken ist einfacher? Na dann.

Bild: Theo Müller (Eigenes Werk) [CC BY-SA 2.5 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.5)], via Wikimedia Commons